22. Juni 2022 – internet24 – Balkanboulevard

 

Gleich hinter Salzburg beginnt der Balkan

Begann er früher erst nicht direkt “hinter Wien”, obwohl die Slowakei und Ungarn gar nicht zur riesigen Balkanregion hinzugerechnet werden? Heute leben fast 66 Millionen Albaner, Bosnier, Bulgaren, Griechen, Kroaten, Mazedoniern, Montenegriner, Moldawier, Roma, Rumänen, Serben und Slowenen in Südosteuropa, wie es politisch korrekt heißt. Zählen Sie die im europäischen Teil der Türkei ansässigen Menschen hinzu, sind es 75 Millionen.

Dem typisch grantelnden Österreicher, der sich zum römisch-katholischen Glauben bekennt, mag es so vorkommen, als gäbe es in der eigenen Bevölkerung seit alters her eine starke Vermischung mit Balkanstämmigen. Dabei führen die Deutschen die Liste der in Österreich lebenden Ausländer an. Doch zwei Balkanländer sind ihnen auf den Fersen: Auf Platz 2 und 3 liegen die Türken und die Serben fast gleich auf.

Der Balkan war schon immer eng mit Österreich verbunden

Früher war doch manches übersichtlicher: Zu k.u.k.-Zeiten hatte Österreich viel zu melden und charismatische Monarchen. Nach den Weltkriegen gab es das Tito-Reich Jugoslawien, das nur halb zum Ostblock zu gehören schien. Urlaub in Opatja oder Split liebte der Österreicher ebenso wie am Plattensee im Nachbarland Ungarn. Seit 25 Jahren ist alles anders – die Grenzen öffneten sich, Jugoslawien zerfiel in diverse Einzelstaaten, Albaner tauchten auf einmal auf, Rumänen durften sich frei bewegen. Es gab Krieg zwischen Serben, Kroaten und Bosniern, immer neue Staaten entstanden. Kein Wunder, dass der Österreicher es bei der gewohnten Benennung beließ, wenn er die Länder südöstlich seiner überschaubaren Alpenrepublik meinte.

Mit Menschen aus den Balkanländern leben

Bekanntlich ist der typische Österreicher Patriot und der Heimat verbunden. Deshalb nennt er sich auch zuerst Kärntner, Steirer oder Burgenländer. Er heißt die Gäste willkommen, die in seinem Land Geld in Hotels, Gaststätten und Trachtenläden lassen. Dass sich in manchen Gegenden die Menschen aus Südosteuropa ballen, könnte dem Gast ein Balkanfeeling bescheren, welches dem Österreicher gar nicht passt. Schließlich stammen die vielen Polen, Russen, Ungarn und Slowaken im Lande aus dem Nordosten oder einfach Osten. Rund 150.000 Bosnier und Kroaten zusammen mit den erwähnten Türken und Serben ergeben zusammen keine 400.000 balkanstämmigen Einwohner. Nur vier Prozent der rund 8,5 Millionen in Österreich lebenden Menschen sind Muslime. Der Gast aus Köln, München oder Kopenhagen hat schon mehre Minarette gesehen. Der Österreicher muss sich also nicht aufregen – der wahre Balkan ist weit.

Der Österreicher und seine Identitäten

Fragen Sie einen Österreicher nach den für ihn und seine Landsleute charakteristischen Eigenschaften, kommen in seiner Antwort gewiss Nationalstolz und Diplomatie vor. Für gesellig, gemütlich und traditionsbewusst hält sich der typische Österreicher ebenfalls. Dass er diese Merkmale mit Millionen Menschen aus den Balkanländern teilt, ist ihm gar nicht bewusst. Es muss um diese Männer und Frauen also offenbar gar nicht so arg bestellt sein, wie es Vorurteile zahlreichen Österreichern suggerieren. Sie möchten sich und ihren Wurzeln treu bleiben und ihre Heimat bewahren.

Trotzdem wird immer wieder beobachtet, dass der geborene österreichische Gastgeber irgendwann einmal seinen Koffer packt und Richtung Südosten reicht, um vor Ort seine Studien zu treiben. Am Schwarzen Meer oder an der langen Adriaküste zwischen Istrien und Dubrovnik tummelt er sich als Badegast und Wassersportler. Oft vermisst er den von zu Hause gewohnten Blumenschmuck an den Häusern, aber sehenswerte alte Gemäuer gibt es dafür zuhauf. Kommen ihm auch die Schnitzel fader und die Weine süßer vor als daheim, stellt er doch fest, dass die Küche Sloweniens und Kroatiens österreichisch beeinflusst ist. Andernorts schmeckt es allerdings eher mediterran, aber diesbezüglich kann der Österreicher sehr tolerant sein.

Wie weltoffen geht es in den Balkanländern zu?

Je nachdem wie stark eine Region touristisch erschlossen ist: Häufig kann der Balkanreisende aus Österreich in puncto Weltoffenheit einiges lernen – trotz der sprachlichen und weltanschaulichen Verständigungsschwierigkeiten. Er erfährt dabei beispielsweise, dass die EU und damit auch sein geliebtes Heimatland großer Töchter und Söhne nicht überall als das Gelbe vom Ei angesehen werden. So kann es vorkommen, dass der Österreicher grübelnd und grantelnd an Salzach, Inn oder Donau zurückkehrt und sich zufrieden in seinem schönen Heim umschaut. Er würde den Balkanländern nie ihre Existenzberechtigung absprechen, denn schließlich läge Österreich dann auf einmal am Mittelmeer. Da nimmt er doch entschieden lieber die Anwesenheit der aus den Balkanländern zugereisten Menschen im eigenen Land in Kauf. Allein unter Österreichern ist man hierzulande halt eh nie!